Vogelschlag

Unter dem Eindruck von aktuell gezielt in Umlauf gebrachten Falschinformationen, Halbwahrheiten und Horrorszenarien über einen Fall von Vogelschlag am Airport Weeze soll der folgende Text versuchen, fundiert und verständlich zu erklären, was der Begriff "Vogelschlag" bedeutet, was bei einem Vogelschlag passiert, wie auf Vogelschlag reagiert wird und wie Vogelschlagsituationen vermieden werden. Er soll es Ihnen außerdem ermöglichen, die Luftfahrtdevise "Safety First" besser nachvollziehen zu können und zu sehen, wie diese Devise in diesem Fall bei Vogelschlag auch angewandt wird.

Was bedeutet überhaupt „Vogelschlag“?
Als Vogelschlag bezeichnet man in der Luftfahrt die Kollision eines Vogels oder mehrerer Vögel mit einem Luftfahrzeug. Dabei wird zunächst nicht dahingehend unterschieden, an welchem Teil eines Luftfahrzeugs, wir sprechen im Folgenden von Flugzeug, der Aufprall stattfindet.

Durchschnittlich kommt es in Deutschland zweimal am Tag zum Zusammenprall eines Flugzeuges mit Vögeln. Etwa 90% dieser Vorfälle ereignen sich in der Nähe von Flughäfen.

"In Deutschland kommt es zu durchschnittlich
zwei Vogelschlägen täglich."

Viele Vogelarten sind so klein und leicht, dass ihr Auftreffen auf ein Flugzeug kaum Auswirkungen hat, aber ungefährlich ist. Kritischer wird die Situation, wenn es sich um schwerere Vogelarten oder ganze Vogelschwärme handelt, die bei hoher Geschwindigkeit auf das Flugzeug auftreffen.

Im Folgenden soll nun anschaulich erklärt werden, wie in etwa auf einen Vogelschlag von Seiten des Flugzeuges und der Besatzung reagiert wird.

Einige Vogelschlag-Szenarien
Die Situation: Eine Boeing 737 auf dem Weg nach London hat soeben die Startbahn erreicht. Während die Piloten die Maschine auf die Piste fahren und ausrichten, erteilt der Tower die Startfreigabe. Die Piloten arbeiten ihre Checkliste ab, schieben die Schubhebel nach vorne, beginnen mit dem Startlauf.

Die Startvorbereitungen haben zu diesem Zeitpunkt längst stattgefunden. Schon bevor die Maschine das Gate überhaupt verlassen hat, haben die Piloten anhand von Faktoren wie Wettersituation, Gewicht des Flugzeugs (Passagiere, Fracht, Treibstoff, …), Länge der Startbahn etc. mehrere Geschwindigkeiten berechnet, die für den sicheren Start von größter Bedeutung sind: So zum Beispiel die so genannte „Startabbruchgeschwindigkeit“ (V1, Critical Engine Failure Speed). Hierbei handelt es sich um die Geschwindigkeit, bis zu der ein Startabbruch auf der Startbahn noch möglich ist. Das heißt: Ist diese Geschwindigkeit noch nicht erreicht, reicht die verbleibende Startbahnlänge aus, um das Flugzeug noch zu einem sicheren Stillstand zu bringen.

Der Startlauf hat also begonnen, die beiden Triebwerke der Maschine beschleunigen das Flugzeug. Jetzt kommt es zum Vogelschlag.

Nun sind verschiedene Szenarien vorstellbar. So könnte der Vogel beispielsweise überhaupt keinen oder nur minimalen Schaden am Flugzeug hinterlassen, der Start würde normal fortgesetzt. Es ist aber auch möglich, dass Vögel bspw. von Triebwerken angesaugt werden.

Auch dies hat in vielen Fällen gar keine Auswirkungen auf das betroffene Triebwerk. Die Piloten bemerken einen solchen Einschlag meist anhand der Anzeigen der Triebwerksinstrumente, weil die Leistung des betroffenen Triebwerks (evtl. nur kurzzeitig) zurückgeht. Sie werden in diesem Fall nach ihrem Ermessen, um eine größtmögliche Sicherheit zu gewährleisten, eine Sicherheitsmaßnahme ergreifen. Ist die wie oben beschrieben errechnete Startabbruchgeschwindigkeit noch nicht erreicht, so werden sie sich entscheiden, den Startlauf abzubrechen. Es wird eine Vollbremsung durchgeführt und das Flugzeug zum Stehen gebracht. Dieses Verfahren ist Luftfahrtstandard und wird immer dann durchgeführt, wenn während des Starts vor dem Erreichen der Startabbruchgeschwindigkeit ein Fehler auftritt. Beginnt bspw. im Cockpit eine Warnleuchte zu blinken, so wird der Start abgebrochen. Der Fehler wird erst danach in Ruhe gesucht. Genauso ist das Vorgehen bei einem Vogelschlag: Nun, da das Flugzeug sicher zum Stehen gekommen ist, kann das betroffene Triebwerk begutachtet und auf mögliche Schäden überprüft werden. Dies erhöht die Sicherheit, heißt aber nicht, dass der Flug nicht auch hätte durchgeführt werden können. Die hier beschriebene Situation ist vergleichbar mit derjenigen, in der sich eine Boeing 737-800 der Fluggesellschaft Ryanair am 6. Februar 2006 am Flughafen Weeze befand.

"Startabbrüche sind Luftfahrtstandard und werden
immer dann durchgeführt, wenn während des Starts vor dem
Erreichen der Startabbruchgeschwindigkeit ein
Fehler auftritt."

Was aber, wenn die Startabbruchgeschwindigkeit zum Zeitpunkt des Vogelschlags bereits überschritten ist? Ein Bremsen auf der Startbahn ist nun nicht mehr möglich, das Flugzeug würde über das Ende der Startbahn hinausschießen. Deshalb wird der Start in dieser Situation in jedem Fall durchgeführt. Das Flugzeug hebt ab und wird von den Piloten in Absprache mit der Flugsicherung auf eine sichere Höhe gebracht. Dort kann anhand der Instrumentenanzeigen entschieden werden, was zu tun ist. Dieses Vorgehen ist so nur möglich, weil zweistrahlige Verkehrsflugzeuge grundsätzlich in der Lage sein müssen, auch mit nur einem Triebwerk sicher abheben, steigen, fliegen und landen zu können, sollte eines der Triebwerke ausfallen.

"Zweistrahlige Verkehrsflugzeuge können auch mit
nur einem Triebwerk sicher abheben, steigen,
fliegen und landen."

Von einem Ausfall des Triebwerks wollen wir in unserem Szenario nun aber zunächst nicht ausgehen. Wir nehmen an, das Triebwerk ist noch in Betrieb. Die Piloten können nun entscheiden, wie sie vorgehen: Sollten die Triebwerksinstrumente im Cockpit Abweichungen am betroffenen Triebwerk zeigen, werden sie sich dazu entschließen, sicherheitshalber zum Flughafen zurückzukehren. Genauso werden sie natürlich entscheiden, sollte das Triebwerk wirklich einmal komplett ausgefallen sein. Zeigt das Triebwerk sich dagegen von seiner besten Seite, kann der Flug auch fortgesetzt werden.

Triebwerke ziviler Verkehrsmaschinen werden bereits bei der Entwicklung dazu ausgelegt, dem Einschlag von Vögeln zu widerstehen. So überstehen die Triebwerksschaufeln den Einschlag leichter Tiere, ohne großen Schaden zu nehmen. Dies testen Triebwerkshersteller sogar, indem sie laufende Triebwerke mit ganzen Schwärmen realer Vogelkörper beschießen. Am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Stuttgart werden ganze Flugzeugstrukturen sowohl im Versuch als auch in der Computeranalyse einem künstlichen Vogelschlag ausgesetzt und die Folgen für das Flugzeug untersucht. Für die Zulassung durch die Luftfahrtbehörden ist eine gewisse Widerstandsfähigkeit unerlässlich, d.h., dass die Triebwerke auch bei Vogelschlag mindestens eine bestimmte Restleistung aufrechterhalten müssen.

"Bei der Entwicklung von Triebwerken werden
laufende Triebwerke mit ganzen Schwärmen
realer Vogelkörper beschossen."

Hierzu sei erwähnt, dass die Vorschriften diesbezüglich in der zivilen Luftfahrt um einiges strenger sind als in der militärischen Luftfahrt. Während oben beschriebene Versuche im zivilen Bereich Pflicht sind, werden sie im militärischen Bereich nur nach den Vorgaben des Kunden, der das Triebwerk bestellt, durchgeführt. Im Gegensatz zu zivilen Maschinen operieren Kampfflugzeuge außerdem an der Leistungsgrenze, zum Beispiel im Tiefflug; ein Vogelschlag kann hier erheblich größeren Schaden verursachen. Besonders gefährlich ist es, wenn die militärischen Jets (im Gegensatz zu zivilen Linienmaschinen) nur ein einziges Triebwerk besitzen. Fällt das eine Triebwerk aus, kommt es fast zwangsläufig zum Absturz. Das von 1992 bis 1999 auf Laarbruch stationierte Kampfflugzeug vom Typ "Harrier" war ein solcher Jet. Mithin gab es auf Laarbruch tatsächlich ein deutlich erhöhtes Risiko von Unfällen durch Vogelschlag. Aber eben nur bis 1999, dem Zeitpunkt des Abzuges der RAF. Es ist allerdings nicht bekannt, dass sich "Stopp-Laarbruch" seinerzeit darüber beschwert hätte. Offenbar ist es den heute so besorgten Anwohnern entgangen, dass die RAF Laarbruch in den Jahren 1997 und 1998 zwei Maschinen des Typs „Harrier“ durch Vogelschlag verloren hat, glücklicherweise ohne größeren Schaden anzurichten; es hätte aber auch anders kommen können.

Maßnahmen zur Verhinderung von Vogelschlag
Vogelschlag an Flughäfen wird vor allem dadurch verhindert, dass das Flughafengelände für Vögel möglichst unattraktiv gehalten wird. So werden in Weeze Aufsitz- oder Nistplätze auf dem Gelände mit "vogelvergrämenden" Vorrichtungen wie Netzen versehen und auch Grünflächen werden für Vögel möglichst unattraktiv gestaltet (aktive Grünflächenpflege). Außerdem gibt es einen Jagdbeauftragten und einen Beauftragten für Vogelschlag. Verirren sich trotz dieser Maßnahmen einmal Vogelschwärme in den Bereich des Flughafens, so werden diese durch Schüsse mit Knallpatronen oder mit anderen, adäquaten Mitteln verjagt.

Alle diese Maßnahmen sind in der Genehmigung für den Flughafen Weeze auf rund 12 Seiten festgeschrieben. Doch nicht nur der Flughafen selbst, sondern auch die dort verkehrenden Fluggesellschaften haben natürlich ein Interesse daran, die Zahl der Vogelschläge so gering wie möglich zu halten. Daher besuchen auch Experten des Hauptkunden Ryanair regelmäßig den Flughafen Weeze, begutachten die getroffenen Maßnahmen und geben Ratschläge zur weiteren Verbesserung.

Der Flughafen Weeze im Vergleich mit anderen Flughäfen
Nach Angaben der Bezirksregierung Düsseldorf konnte ein „Anstieg des Vogelschlagrisikos [am Flughafen Weeze] […] bisher nicht festgestellt werden“. Eine höhere Wahrscheinlichkeit von Flugzeugschäden durch Vogelschlag als an anderen Flughäfen bestehe nicht.

Am Flughafen Frankfurt Rhein/Main liegt die Vogelschlagrate nach eigenen Angaben bei 2 bis 5 Vorfällen pro 10 000 Flugbewegungen. Damit sei man „Spitze im internationalen Vergleich“, so die Angabe auf der Website des Flughafens. Auf dem Flughafen Weeze finden zum gegenwärtigen Zeitpunkt rund 5 000 Flugbewegungen von Passagierflugzeugen im Linien- und regelmäßigen Charterverkehr pro Jahr statt. Zwar liegen keine offiziellen Angaben über die Vogelschlagrate am Airport Weeze vor; der Vergleich mit Frankfurt zeigt aber auf, dass man das Vogelschlagrisiko in Weeze nicht als außergewöhnlich hoch bezeichnen kann.

Maik Sohl
16. April 2006
Letzte Überarbeitung am 01. Mai 2006


Quellen:
Berliner Flughäfen. Umweltschutz Jahresreport 2003/2004. Schönefeld, Tegel, Tempelhof.

Bezirksregierung Düsseldorf. Pressemitteilung Nr. 136. Keine erhöhte Gefahr durch „Vogelschlag“ am Flughafen Niederrhein. Düsseldorf, 13. April 2006

Fraport AG - fraport.de: Umwelt: Naturschutz
http://fraport.de/cms/umwelt/rubrik/2/2438.naturschutz.htm#Vogelschlag
Zugriff am 16. April 2006, 18:30 Uhr

Frischbier, Dr.-Ing. J. Vogelschlag in Flugtriebwerken - eine impulsartige Fluid-Struktur-Wechselwirkung in der Triebwerksauslegung.
http://www.mtu.de/channel/files/pdf/21905Kopie_von_Vogelschlag_in_Flugtriebwerken.pdf
Zugriff am 18. April 2006. 11:25 Uhr